Auf Einladung von MAlumni gewährte Dr. Nikolaus Weichselbaumer vom Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unter dem Titel »Teaching Type Design to a computer« einen kurzweiligen Blick auf die Kindertage der Computer-Typographie.

Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Buchsatzes – im Prinzip hatte sich seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Erfindung des Fotosatzes in den 1960er wenig verändert – kam der erste der beiden Hauptprotagonisten des Vortrags ins Spiel: Donald Knuth, dessen erster Band seines weltberühmten Standardwerks »The Art of Computer Programming« noch in Blei gesetzt worden war. Vom zweiten Band im Fotosatz war er, wie der Referent zurückhaltend formuliert, verstimmt. Ursache war die mangelnde Qualität der Schrift, die im Fotosatz insbesondere bei mathematischen Formeln an ihre Grenzen stieß. Im Bleisatz war jede Schriftgröße ein eigener Schnitt, Fotosatzschriften wurden häufig einfach skaliert – auf Kosten der Lesbarkeit, Proportionen und Ästhetik.Donald Knuth

Daraufhin nahm Knuth 1979 optimistisch ein Sabbatical, um eine Layout-Software zu entwickeln, die eine Satzvorlage komplett am Computer erstellen konnte. Ein ambitionierter Plan: er konnte auf keine vergleichbare Software aufbauen, leistungsfähige Rechner füllten damals noch ganze Gebäude und das erste Textverarbeitungsprogramm war gerade erst entwickelt worden. Knuth machte das unmögliche Möglich: Binnen eines Jahres entwickelte er ein Programm namens TeX, den Funktionskern von LaTeX.

Womit Knuth aber Probleme hatte, war die Entwicklung einer verwendbaren Schrift. Aber warum eine Schrift entwickeln, warum nicht »einfach« eine vorhandene digitalisieren? Er hat diesen Versuch unternommen – mithilfe einer Fernsehkamera im Videolabor wollte er die Buchstaben seiner für schön befundenen Erstausgabe nachbilden. Das Ergebnis nicht zufriedenstellend …

Daraufhin hatte er die genial-verrückte Idee den Vorgang der Schriftentstehung als Programm abzubilden. »Teaching type design to a computer« eben. Nur gab es dabei ein Problem: Knuth mag ein begnadeter Informatiker sein, ein Schriftgestalter war er (zunächst) nicht.

Hermann ZapfHier wurde es Zeit für den zweiten Hauptprotagonisten in Weichselbaumers Vortrag: Hermann Zapf, einer der bedeutendsten Typographen und Kalligraphen des 20. Jahrhunderts. Auch wer den Namen noch nie gehört hat, hat sicher schon Zapfs Werk verwendet. Z.B. Palatino, Optima, die Zapf Dingbats oder die inzwischen ubiquitäre Zapfino, die mit sechs Parallelalphabeten Handschrift imitiert, gehören zu den verbreitetsten Schriften der Welt.

Zapf, der 1918 in Nürnberg geboren wurde und letztes Jahr hochbetagt in Darmstadt verstarb, hatte mit Computern eigentlich wenig zu tun, arbeitete selbst nie an einem. Aber er erkannte frühzeitig ihr Potential und hatte visionäre Gedanken: seit den 1960er-Jahren propagierte er, dass man sich damit beschäftigen müsse, Computer für die Typographie nutzbar zu machen; 1973 veröffentlichte er sogar einen Artikel über Bildschirmtypographie, in der Annahme, dass in naher Zukunft wissenschaftliche Kommunikation quasi ausschließlich über vernetzte Datenbanken stattfinden werde und das Drucken von Büchern und Zeitschriften für schnell veraltende Informationen obsolet würde. In Deutschland wurde diese Idee mit zeitgemäßem Enthusiasmus aufgenommen: »Der Zapf spinnt«.

In den USA traf er dagegen auf offene Ohren und wurde schließlich an das Rochester Institute of Technology auf eine extra eingerichtete Professur für Computertypographie berufen, die er 1979 antrat. In dieser Rolle war er ein naheliegender Ansprechpartner für Knuth. 1980 trafen sich die beiden in Stanford und berieten darüber, wie Computern das mit den Schriften wohl beizubringen sei.

Zapf zeigte sich sehr angetan von Knuths Überlegungen. Kongenial regte er u.a. an, den unterschiedlichen Druck mit dem das Schreibwerkzeug auf das Papier gepresst wird, zu berücksichtigen. Knuth entwickelte Metafont wie es, von ein paar Iterationen abgesehen, bis heute existiert: Buchstaben bestehen aus einzelnen »virtuellen Federstrichen« – Pfade eines virtuellen Schreibwerkzeugs, i. d. R. einer Breitfeder, einem Stift oder einem Pinsel imitierend, das unterschiedlich gedreht sein und mit veränderbarem Druck auf das Papier gepresst werden kann.Metafont A

In der Folge entwickelten Zapf und Knuth gemeinsam für die American Mathematical Society [AMS] eine Schrift namens AMS Euler, die dieses Prinzip vollends ausnützt. Es ist eine etwas ungewöhnliche Schrift, die zwar für den Textsatz verwendbar, v.a. aber für Formeln gedacht ist.AMS Euler

Damit hatte Knuth sein Ziel erreicht: Die AMS Euler und TeX/Metafont wurden in der Folge für seine Bücher verwendet, die damit zu den ersten »desktop publishing«-Büchern wurden, auch wenn der Begriff erst Mitte der 1980er aufkam. Gerade bei Formeln ist die Anpassbarkeit von Metafont ein enormer Vorteil, weil selbst extrem verschachtelte Formelkonstrukte noch gut aussehen. Zudem hat LaTeX den Vorteil, dass ein strukturiert geschriebener Text automatisch in einen standardisiertes und akzeptabel aussehendes Layout überführt werden kann. Gleichzeitig verhinderte dieser Faktor dass LaTeX heute eine ähnliche Bedeutung hat, wie z. B. InDesign, das inzwischen den De-Facto-Standard für Layoutsoftware darstellt. Das Arbeiten in Code ist zwar logisch, aber insbesondere Gestalter sagt das What-you-see-is-what-you-get-System von Adobe aus naheliegenden Gründen mehr zu. Nichtsdestotrotz ist es erstaunlich, dass in Knuth erweitertem Sabbatical 1979/1980 in Kooperation mit Zapf ein Stück Software entstanden ist, das einerseits eine absolute Pioniertat war und das andererseits, jedenfalls in seiner spezialisierten Nische, noch 36 Jahre später verbreitet im Einsatz ist.